Birgit Zinner: „Die Rückkehr der Lipsis“
Showroom Galerie Ulrike Hrobsky,Grunsteingasse 40, September 2013

„…Und mit Elastizität / die sich von sölba vahsteht / schleift da Ferdinand de Mitzi aufs Parkett….“ So geschehen laut Gerhard Bronners Erfolgsnummer „Der gschupfte Ferdl“ in den 1950er-Jahren zum swingenden Takt des „Jitterbug“ im Wiener Vorort Neulerchenfeld.
In dessen Zentrum liegt auch heute noch die Grundsteingasse, wo Birgit Zinner ihre „Rückkehr der Lipsis“ in Szene setzt.
Diese erinnern ihrerseits an einen Tanz – nämlich an den 1959 in der DDR kreierten und nach seinem Geburtsort Leipzig benannten „Lipsi“. Diese „sozialistische Tanzmusikkreation“ im 6/4-Takt sollte damals als Alternative zum US-amerikanischen – und damit von der DDR als Bedrohung wahrgenommenen – Rock’n’Roll etabliert werden und wurde im Vorgriff auf den erhofften Erfolg gleich weltweit zum Patent angemeldet.
Offenbar aber bewirkte er bei der angesprochenen DDR-Jugend alles andere als tänzerische „Elastizität“: als der vom Leipziger Rundfunk-Tanzorchester begleitete Song Heute / tanzen alle jungen Leute / im Lipsi-Schritt auf Platte gepresst seinen Triumphzug antreten sollte, reagierte diese protestierend im Sprechchor: „Wir tanzen keinen Lipsi / und nicht nach Alo Koll / wir sind für Bill Haley / und tanzen Rock’n’Roll!“. Hiermit endete dann auch die wohl kürzeste Geschichte eines Modetanzes.

Birgit Zinners Lipsis hingegen wirken im Vergleich zu ihrem musikalischen Namensvetter um einiges „elastischer“: materiell-technisch bestehen sie aus jeweils mehreren, entlang einer potenziell biegsamen Trägerstange horizontal (in Intervallen) übereinandergeschichteten, aus Faserplatten gefertigten „Bildobjekten“, wie sie die Künstlerin üblicherweise als vertikal an die Wand oder von der Decke zu hängende Arbeiten konzipiert.
Jeder einzelne Lipsi bildet nun gleichsam eine im Raum stehende Figur von etwa menschlicher Grösse, ihre ober- und unterseitig farbintensiv gestalteten Bild-Ebenen mit all ihren zeichnerisch ausgefrästen Luft- und Leerstellen erinnern an sich im Tanzschwung drehende Petticoat-Röcke der Rockabilly-Ära; gemeinsam halten die Lipsis Einzug im Ausstellungsraum bzw. korrespondieren miteinander sowie mit ihren (sich dort bewegenden) Betrachtern.
Indem nämlich deren horizontaler Blick in sie hinein und durch sie hindurch führt, stellen sich je nach Betrachterstandort und -grösse unterschiedliche Sensationen ein – mal linear wirkende Kanten, mal durchbrochene Flächen in Auf- und Untersicht, mal ein ganzes Ensemble….
„Der Lipsi materialisiert sich. Das gezeigte Objekt ist Subjekt, eine sich selbst behauptende (Tanz)Figur, ein Partner des Betrachters“, sagt Birgit Zinner, der es desgleichen bei ihren Bild- und Spiegelobjekten immer auch um den Austausch zwischen Kunstobjekt und Betrachter geht. Auch ist das (virtuell-)kinetische Moment ihren Arbeiten prinzipiell inhärent, indem sie Zwei- und Dreidimensionalität stets ineinander zu verschränken versteht.
Zudem versucht die Künstlerin, wie Edgar Landgraf schreibt, „ganz bewusst über Experimente mit dem eigenen Körper, über … ungewöhnliche Bewegungsabläufe, Tanzgebärden, Perspektivenwechsel etc. sich dem Punkt zu nähern, wo Neues, konzeptuell nicht Planbares entsteht, wo Andersartigkeit dem Körperlichen entlockt und zur Entwicklung dem Kunstwerk angeeignet werden kann.“

Auch benennt sie ihre Arbeiten gerne mit gefundenen Begriffen, um ihre Bedeutung zu wandeln. Im Falle der Lipsis, sagt Birgit Zinner, „finde ich interessant und verbindend, dass es um einen gescheiterten historischen, kulturellen und visuellen Versuch geht, der nun einen neuen zeitgenössischen Inhalt bekommt“.

(Lucas Gehrmann, Wien 2013)

weitere Texte

Johannes Meinhardt, 2008, Untersuchung des Effekts „Kunstwerk“, in: Birgit Zinner. arbeiten (Katalog)

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Edgar Landgraf, 2008, Formen aus Formen ausformen. Re/Produktion in der Kunst Birgit Zinners, in: Birgit Zinner. arbeiten (Katalog)

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